Au Pairs in Krisenzeiten
Liebe Gastfamilie,
nun haben wir, zumindest in Bayern, seit 2 ½ Wochen Ausgangssperre und derzeit ist von offizieller Seite kein Ende in Sicht. Seit 2 ½ Wochen hören wir, wie sinnvoll diese Maßnahmen sind, wie wichtig es ist, dass sich alle daran halten und wie viele Leben es zu retten gilt. Es wird selten darüber gesprochen, wie es uns Familien dabei geht. Wie fühlen wir uns eigentlich? In vereinzelten Interviews erklären Passanten (gefühlt meist Menschen ab 50), dass sie sich entschleunigt fühlen, dass es weniger Lärm gibt. Die Frage, wie lange Familien diese Belastung aushalten, wird derzeit in den Medien wenig angesprochen.
Sicherlich sind Familien nur ein Teil der Gesellschaft. Wie fühlt es sich an, mit allen Familienmitgliedern fast permanent unter einem Dach eingesperrt zu sein? Ich denke die meisten Eltern werden mir beipflichten: es führt zu mehr Chaos und mehr Lärm innerhalb der eigenen 4 Wänden; die Diskussion, wann und ob Hausaufgaben gemacht werden müssen, fängt nun schon morgens an, wenn eigentlich Schule sein sollte. Wenn plötzlich alle Home Office machen und dazu Konzentration nötig wäre, ist das in manchen Situationen kaum noch darstellbar.
Potenziert wird das Ganze, durch ein Au Pair, das nun auch noch ständig zu Hause ist. Das Au Pair ist Fluch und Segen zugleich: ohne Au Pair wäre die Belastung sicherlich noch größer. Es gäbe dann wahrscheinlich tagsüber keinen ruhigen Moment mehr; dafür muss man aber auch mit den Befindlichkeiten des Au Pairs umgehen. Manchmal fühlt es sich ein bisschen wie eine dauerhafte Überwachung an, denn nun bekommt das Au Pair die potenzierte Familiendröhnung und kann jeden Erziehungsfehler und jede Macke, Tag für Tag beobachten. Da wir kaum noch ausweichen können, auch unseren Kindern kaum aus dem Weg gehen können, kommt es manchmal zu Eskalationen, die das Au Pair vielleicht sonst nicht mitbekommen hätte. Und ja, auch unsere Au Pairs haben Befindlichkeiten, und dann fühlt es sich so an als hätten wir noch ein Kind mehr, um das wir uns kümmern müssen.
Für Ärgernis sorgt, dass manche Au Pairs die Tragweite der staatlichen Maßnahmen nicht verstanden haben. Wir hatten gerade erst die Frage, ob denn der geplante Urlaub über Ostern nicht doch stattfinden kann. Das Mädchen wollte Ihre Verwandtschaft in Deutschland besuchen und das sollte ja wohl noch möglich sein. Der Fakt, dass die Ausgangssperre bedeutet, dass wir Freunde und Familie nicht besuchen dürfen, hat das Mädchen erst mal nicht verstanden. Erst als ich erklärt habe, dass bis zu 2 Jahre Gefängnis drohen, kam die Einsicht. Auch der Fakt, dass Kinder nicht mehr mit Nachbarkindern spielen dürfen, ist bei manch einem Au Pair noch nicht angekommen. Und natürlich darf man als Au Pair auch keine Freunde besuchen, auch wenn diese genauso von der Ausgangssperre betroffen sind und somit „kein Risiko“ darstellen. Dass es sich hier nicht um eine „Ermessensfrage“ handelt, sondern um eine klare, staatliche Anordnung, ist für viele schwer zu begreifen.
Woran liegt das? Ein Mädchen hat mir erklärt, dass sie immer dachte, dass in Deutschland jeder frei ist. In ihrem Heimatland ist es ganz normal, dass Staatswillkür zu Einschränkungen führt. Mit ein Grund warum sie Deutschland so bewundert hat, ist weil sie den Eindruck hatte, dass wir eine ausgeprägte Demokratie haben. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass in unserer Demokratie ein Minister eine Ausgangssperre und ein Versammlungsverbot verhängt und die Menschen das einfach so hinnehmen. Gäbe es denn niemand, der dagegen ist? Und wenn jemand dagegen ist, wie könnte dieser Mensch das der Politik signalisieren? Wie funktioniert derzeit in Deutschland „Demokratie“, im Sinne „Macht und Regierung des Volkes“, wenn das Volk nicht mehr miteinander Kontakt hat. Wir haben dann kurz über den arabischen Frühling gesprochen und ich muss zugeben, ich war von dem fundierten Wissen über die deutsche Geschichte und dem allgemeinen Weltgeschehen beeindruckt. Ich konnte verstehen, dass es für sie nur schwer nachvollziehbar war, dass sie sich nun an die Ausgangssperre zu halten hatte, denn das ist für sie eben nicht das, was sie von Deutschland erwartet hatte.
Ein anderes Au Pair hat mich unter Tränen angerufen. Sie macht sich derzeit große Sorgen, denn im Juni ist das Au Pair Jahr zu Ende und sie weiß nicht, ob sie dann nach Hause kommt. Was würde passieren, wenn sie nicht nach Hause fliegen kann? Wäre sie illegal in Deutschland? Würde sie ins Gefängnis kommen? Natürlich wird sich zu gegebener Zeit eine Lösung finden, sollte sie wirklich nicht nach Hause fliegen können. So habe ich versucht, mit möglichst viel Zuversicht das Mädchen zu beruhigen. Einen Schritt nach dem anderen oder auch „we will cross that bridge when we get there“ (wir überqueren die Brücke, wenn wir dort angekommen sind).
Auch unsere Au Pairs haben Sorgen und Nöte. Ihre Eltern machen sich Sorgen, weil sie hilflos sind und ihren Kindern nicht helfen können. Sie übertragen dieses Gefühl auf ihre Kinder, selbst wenn rational betrachtet die medizinische Versorgung in Deutschland wahrscheinlich besser ist als in ihren Herkunftsländern. Für die Au Pairs, für die Zeit noch unendliche lange sein kann, im Vergleich zu uns erwachsenen, für die Zeit rast, ist die Isolation nur schwer zu ertragen. Sie vermissen die sozialen Kontakte, gerade weil viele von den Au Pairs aus Gesellschaften kommen, die sehr viel mehr sozialen Kontakt gewöhnt sind als wir Deutschen. Deutschkurse gibt es auch keine mehr. Auch sie sind auf engem Raum mit uns eingesperrt. Da stellt sich die Frage: „Warum tue ich das überhaupt?“. Auch wenn die Situation endlich ist, so gibt es kein klares Ende in Sicht und somit fühlt sich alles unendlich lang an. Der Unterschied zwischen Ihren Kindern und dem Au Pair mag sein, dass man mit Mitte 20 die Gefühle besser greifen und begreifen kann. Trotzdem sind unsere Au Pairs oft sehr emotionale Wesen die dann ähnliche Gefühlsausbrüche erleben wie Kleinkinder. Und wie bei Kleinkindern führt offensichtliche Verständnislosigkeit unsererseits dann noch eher zu dem Gefühl von Hilflosigkeit, Angst, Einsamkeit und Beklemmung. Genauso wie man ein Kleinkind irgendwann aus seinem Gefühlsausbruch nur noch befreit, indem man es in den Arm nimmt und mit viel Liebe und Zureden beruhigt, genauso müssen wir mit unseren Au Pairs derzeit manchmal mit Verständnis, einer Umarmung, einer Tafel Schokolade und einem offenen Ohr ein wenig Wärme, Liebe und Hoffnung geben.
Losgelöst von dem Thema, wie glücklich wir mit dem aktuellen Au Pair sind oder auch nicht, stellt sich bei manchen derzeit die Frage, wann und ob das nächste Au Pair kommen kann. Da derzeit die deutschen Botschaften geschlossen haben und alle Termine abgesagt wurden, können wir als Agentur dazu leider keine Aussage machen. Auch wenn das Au Pair das Visum bereits beantragt hat, wird der Antrag derzeit nicht bearbeitet und so ist ungewiss, wann das Au Pair nach Deutschland kommen kann. Faktisch sieht es derzeit düster aus: wir erwarten Chaos wenn die Botschaften wieder aufmachen. Abgesagte Termine müssen neu vergeben und laufende Visaanträge bearbeitet werden, so dass eine erneute Überlastung der Botschaften in Kernregionen zu erwarten ist. Der Bedarf wird gestaut, denn wenn Eltern wieder arbeiten gehen können und müssen, werden sie wieder die Betreuung ihrer Kinder gewährleisten müssen. Der Markt für Wechsler wird sicherlich wieder boomen, denn wenn die Beschränkungen aufgehoben werden, wird wahrscheinlich auch so manch ein Au Pair kündigen, um nach Hause zu fliegen oder auch einfach nur Abstand zur aktuellen Gastfamilie zu bekommen. Als Agentur bemühen wir uns auch derzeit neue Kandidaten zu werben, Vermittlungen vorzubereiten, Au Pairs und Gastfamilien miteinander ins Gespräch zu bringen. „The show must go on“, wenn auch mit Einschränkungen.
Wir haben für Sie ein offenes Ohr. Egal ob das aktuelle Au Pair Sie in den Wahnsinn treibt oder Sie sich Gedanken darüber machen, was Sie von einem neuen Au Pair erwarten. Wir hören Ihnen gerne zu und werden auch weiterhin mit Rat zur Seite stehen. Natürlich versuchen wir auch den Au Pairs mit möglichst viel Informationen die aktuelle Situation etwas zu erleichtern. Zu Begin der Krise haben wir bereits in einem Rundschreiben über die Besonderheiten der aktuellen Situation aufmerksam gemacht und hoffen, dass auch wir dazu beitragen können, dass unsere Au Pairs in dieser Situation mit den Gastfamilien an einem Strang ziehen.
Wir wünschen Ihnen auf jeden Fall gute Nerven, viel Kraft und natürlich viel Gesundheit.
Herzliche Grüße
Svenja Malchow
Julia Böckh